Heineken, Ollesch & Schulte Experimentalpsychologische.Ausbildung im WWW – Chancen fur eine Internationalisierung des Psychologiestudiums

Heineken, Ollesch & Schulte

Experimentalpsychologische.Ausbildung im WWW –

Chancen fьr eine Internationalisierung des Psychologiestudiums

Die Geschichte der Psychologie ist eng verknьpft mit der Geschichte der experimentalpsychologischen Ausbildung von Studierenden, wie Bringman, Bringman und Ungerer (1980) berichten. Die Einrichtung des erste experimentalpsychologischen Labors im Jahre 1879 durch Wilhelm Wundt in Leipzig ist nicht zuletzt auf das Interesse von Wundts Studierenden an eigener praktischer Forschungsarbeit zurьckzufьhren.

Bis zum heutigen Tage kommt der praktischen experimentellen Ausbildung in der Psychologie eine zentrale Rolle zu. In experimental­psychologischen Praktika werden Studierende angehalten, Laborexperimente zu planen und durchzufьhren. Sie lernen die einzelnen Schritte laborexperimenteller Forschung durch eigenes Experimentieren nachzuvollziehen: Formulierung von Hypothesen, Auswahl und Implementierung der experi­men­tellen Treatments, Zuweisung der Versuchsteilnehmer zu den Bedingungen nach Versuchs­planungsprinzipien, Abfassung von Instruktionen, Erfassung von Daten, statistische Analyse und deskriptive Aufbereitung der Daten, Einordnung experimenteller Befunde in theoretische Zusammen­hдnge, Abfassung wissenschaftlicher Berichte und Prдsentation wissen­schaft­licher Beitrдge. Diese Art von Training entspricht dem internationalen Standard, ist aber in Zeiten knapper Ressourcen immer schwerer zu realisieren, da sie mit hohen Kosten fьr Rдume und Ausstattung sowie mit einem hohen personellen Aufwand fьr die Betreuung der Studierenden verbunden ist.

Eine kosten- und ressourcengьnstige Alternative verspricht die Verlegung der experimental­psychologischen Ausbildung aus dem Labor ins Internet. Experimente im Internet durchzufьhren, trifft auf zunehmendes Interesse auch in der psychologischen Forschung (vgl. Birnbaum, 2004). Seitdem das World Wide Web zum weltweit akzeptierten Kommunikationsmedium geworden ist, ist es auch fьr die Psychologie hoch attraktiv geworden. Die Durchfьhrung von Befragungen und sogar von Experimenten im Netz ist zu einer цkonomischen Alternative zu Einzeluntersuchungen von Probanden im Labor geworden. Online-Experimente erlauben es, in kьrzester Zeit groЯe Stichproben von Probanden ьberall auf der Welt zu erreichen.

Neuere Lehrbьcher zum experimental­psychologischen Praktikum bieten bereits Experimente fьr die Durchfьhrung im WWW an. Die hohen Anforderungen, die an die experimentalpsychologische Grundlagenausbildung gestellt werden mьssen, werden jedoch mit derartigen Angeboten nicht erfьllt, da die Studierenden bei der Durchfьhrung bereits „fertiger“ Experimente nicht lernen, die einzelnen Schritte des experimentellen Forschungsprozesses nachvollziehen.

Am Institut fьr Kognition und Kommunikation der Universitдt Duisburg-Essen wurde daher das virtuelle Experimentallabor Lab.OR entwickelt (http://www.labonlineresearch.de). Das Lab.OR ist eine netzgestьtzte Lernumgebung mit einem integrierten Autorensystem, das den Studierenden erlaubt, eigene Experimente zu planen und zu gestalten, ohne ьber Programmierkenntnisse zu verfьgen. Seit 2001 wird die Lab.OR-Umgebung in der experimental-psychologischen Ausbildung sowie im Rahmen von Forschungsprojekten in Duisburg erfolgreich eingesetzt (Heineken, Schulte & Ollesch, 2003; Ollesch, Heineken, & Schulte, 2003; Ollesch, Schulte & Heineken, 2004; Schulte, Heineken, Ollesch, 2004).

Bei der Durchfьhrung von Praktikumsversuchen im virtuellen Labor sind Studierende nicht mehr ausschlieЯlich auf Kommilitonen als Versuchsteilnehmer angewiesen: An den Versuchen kцnnen Personen zu beliebiger Zeit und an einem beliebigen Ort aus teilnehmen. Die Unterstьtzung einzelner Studierendengruppen bei der Gestaltung webbasierter Experiment erfolgt ьber ein Betreuermenь. In die Lab.OR-Umgebung eingebaute Kommentar- und Kommunikations­funktionen ermцglichen gezielte Hilfestellungen. Sobald ein Versuch von den Versuchsleitern fertiggestellt ist, kann der Betreuer ihn ьber das Menь zur Durchfьhrung im Netz freigeben. Die erhobenen Daten sind fьr Versuchsleiter und Betreuer ebenfalls jederzeit online abrufbar. Fьr die Berichterstattung nutzen die Versuchsleiter die Groupware-Funktionen der Lab.OR-Umgebung.

Hohe Studierendenzahlen und knappe Ressourcen sind nicht spezifisch fьr die experimental­psychologische Ausbildung an deutschen Universitдten. Weltweit haben psychologische Institute mit дhnlichen Problemen zu kдmpfen. Der Einsatz der Lab.OR-Umgebung in entsprechenden didaktischen Szenarien kann auch an den Instituten anderer Universitдten dazu beitragen, ihre Ressourcen-Probleme zu lцsen und dabei gleichzeitig Forderungen nach einer stдrkeren Standardisierung und Internationalisierung des Studiums zu erfьllen. Mit dem Einsatz der virtuellen Laborumgebung Lab.OR in der experimentalpsychologischen Ausbildung lassen sich gleichzeitig eine ganze Reihe von Zielen erreicht:

Fцrderung des kollaborativen Lernens und Arbeitens: Die Lab.OR-Umgebung bietet eine Plattform fьr die netzbasierte Zusammenarbeit studentischer Arbeitsgruppen an einer gemeinsamen Aufgabe und unterstьtzt durch Groupware-Funktionen die Kommunikation innerhalb der studentischen Arbeitsgruppen und zwischen Studierenden und Betreuern. Die Studierenden ьben sich im Zuge der experimentalpsychologischen Ausbildung in Formen der Kollaboration, die auch in anderen Studienbereichen und im spдteren Berufsalltag eine wichtige Rolle spielen.

Internationalisierung: Die Entwicklung und Durchfьhrung gemeinsamer Experimente in der experimental-psychologischen Ausbildung in internationalen Teams trдgt nicht nur zum Erwerb fachspezifischer Skills bei, sondern integriert den Erwerb interkultureller Kompetenz bereits in einen frьhen Abschnitt des Bachelor-Studiums an der Heimatuniversitдt. Die Studierenden erhalten einen Einblick in das Studium in anderen Kulturrдumen und entwickeln gemeinsame Leistungsstandards.

Erwerb von Skills fьr die wissenschaftliche Kommunikation: Lingua Franca bei der Arbeit in international verteilten Teams ist die englische Sprache. Die Studierenden erwerben kommunikative Skills, die fьr die wissenschaftliche Kommunikation ьber den eigenen Sprachraum hinaus immer wichtiger werden.

Standardisierung von Bildungsprogrammen: In Folge der Vereinbarungen der Bologna-Konferenz sind europдische Hochschulen angehalten, ihre Studien­programme zu modularisieren und gemeinsame Standards zu formulieren. In der experimental-psychologischen Ausbildung sind die international bereits etablierten Standards immer schwerer zu erfьllen. Die Erarbeitung von Konzepten fьr eine ressourcengьnstige Ausbildung, die dennoch diesen Standards genьgt und gleichzeitig die Internationalisierung vorantreibt, ist daher von nachhaltiger Bedeutung fьr die gesamte wissenschaftliche Community.

Mobilitдtsfцrderung: Gemeinsame Konzepte fьr die experimentalpsychologische Ausbildung erleichtern die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen und schaffen die Voraussetzungen fьr die Mobilitдt von Studierenden. Gemeinsames Arbeiten in international verteilten Teams soll Studierende verstдrkt zu Studien- und Forschungsaufenthalten an anderen Hochschulen anregen.

Innovative Ausbildung: Das Online-Experimentieren gewinnt in der psychologischen Forschung zunehmend an Bedeutung. Eine moderne Methodenausbildung muss dies berьcksichtigen und den Studierenden die Besonderheiten und Grenzen dieser Methode nahe bringen. Gleichzeitig kцnnen die entwickelten Konzepte als Modelle fьr die Ausbildung in allen Disziplinen dienen, in denen Online-Forschung betrieben werden kann.

Цkonomie bei der Realisierung experimentalpsychologischer Praktika: Das Lab.OR ist auf dem Markt einzigartig: Netzfдhige „Experimentalbaukдsten“ (Autorensysteme) oder Lernumgebungen fьr die Ausbildung in experimentell-psychologischen Methoden sind nicht verfьgbar. Das Lab.OR erfьllt beide Funktionen. Die Ьberfьhrung der vorhandenen Software in eine Open-Source-Umgebung ist damit verbunden, dass die Software unter die General Public License (GPL) gestellt, der Quellcode komplett offen gelegt und ьber das Web verfьgbar gemacht wird. Entwickler kцnnen die Software dann selber um Funktionen erweitern, alle Erweiterungen bleiben jedoch basierend auf der GPL Open Source und stehen damit weltweit frei zur Verfьgung. Damit ist – ьber die Gruppe der Projektteilnehmer hinaus – ein nachhaltiger Nutzen fьr die internationale wissenschaftliche Community verbunden.

Das Lab.OR trifft auch an anderen Universitдten innerhalb und auЯerhalb Deutschlands auf groЯes Interesse. Im Rahmen des von der Schweizer Universitдtsrektorenkonferenz betriebenen Swiss Virtual Campus wird das Projekt „Development, Emotion, Vision, Imagery, and Learning. Experimental Psychology Lab Class (DEVIL)“ der Universitдten Bern, Lausanne und Zьrich mit 593.000 SF gefцrdert. Ziel ist die Entwicklung gemeinsam nutzbarer, austauschbarer Module fьr die experimental­psychologische Grundlagenausbildung, die durch die Einbindung von E-Learning-Komponenten auch bei knappen Ressourcen und hohen Studierendenzahlen eine effiziente Betreuung der Studierenden beim selbstregulierten Lernen gewдhrleisten. Kern des Projektes bildet dabei die Lernumgebung Lab.OR. Seit dem Sommersemester 2006 setzt auch die Johann Wolfgang Goethe-Universitдt in Frankfurt a.M. die Lab.OR-Umgebung als Lernplattform in der experimentalpsychologischen Ausbildung ihrer Studierenden ein.

Gemeinsam mit den Universitдten Frankfurt, Wien und Graz (Цsterreich), Tartu (Estland), Salamanca (Spanien) ist ein Antrag auf Fцrderung durch die EU fьr ein Projekt „Web-based environments for experimental psychology lab classes (WEPsyLab)“ gestellt worden, in dessen Zentrum das Lab.OR steht. Darьber hinaus ist von zahlreichen weiteren Instituten Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet worden. Hierzu gehцren Universitдten in Sьdamerika mit der Universidad Santo Tomбs und der Universidad Nacional in Bogota.

Das Laboratorium fьr Online Research ist somit bereits heute zentraler Knoten in einem virtuellen Campus, in dem ьber Landesgrenzen hinweg Gruppen von Studierenden und Betreuern vernetzt experimentieren. Das Laboratorium fьr Online Research lцst nicht nur die oben beschriebene Ressourcenproblematik, sondern ermцglicht die webbasierte Kooperation von Studierenden im Rahmen ihrer experimentellen Methodenausbildung ermцglichen. Studierende kцnnen so schon wдhrend ihres Studiums aktiv erfahren, dass heute international vernetzt geforscht wird – mit all den Problemen und vor allen Dingen mit all den Chancen, die sich daraus ergeben. Darьber hinaus unterstьtzen ьber Lдndergrenzen vernetzte Experimentalpraktika den internationalen und interkulturellen Dialog, und fцrdern die virtuelle Mobilitдt von Studierenden schon wдhrend ihres Studiums. Die Universitдten in Russland sind eingeladen Lab.OR ebenfalls zu nutzen und sich in das internationale Netzwerk der psychologischen Experimentalausbildung einzugliedern.

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